Die Europäische Union (EU) will einen neuen Kurs in Richtung einer ökologisch nachhaltigeren Zukunft einschlagen und hat neue Initiativen wie das Fit-for-55-Klimapaket verabschiedet, um ihr Klimaziel zu erreichen.
Diese politischen Maßnahmen sind ambitioniert, reichen weit über die Grenzen des Kontinents hinaus und würden damit sowohl Europäern als auch den besonders vom Klimawandel Betroffenen zugutekommen. Vor dem Hintergrund einer zunehmend schwierigen internationalen Klimapolitik und der bevorstehenden Weltklimakonferenz COP28 in Dubai hat die EU die Möglichkeit, den Diskurs zu Hause und auf globaler Ebene zu gestalten. Während sich die Nationen in Dubai versammeln, könnte die EU mit der Betonung von Umverteilungsgerechtigkeit durch eine Klimadividende einen praktikablen Rahmen für die Förderung internationaler Zusammenarbeit und gemeinsamer Verantwortung anbieten.
Den EU-Emissionshandel gerechter und gesellschaftlich akzeptabel gestalten!
Die EU hat sich zu einem weltweiten Vorreiter in Sachen Klimaschutz entwickelt. Das Emissionshandelssystem der Europäischen Union (EU Emissions Trading System, EU ETS) ist ein Eckpfeiler dieser Bemühungen. als Cap-and-Trade-System – in etwa Deckel-und-Handeln – dient es dazu, die europaweite Emissionsmenge zu begrenzen und Anreize für die Industrie zu schaffen, ihren CO2-Fußabdruck zu verringern. Das Fit-for-55-Klimapaket will noch weiter gehen, indem es ehrgeizige Maßnahmen wie das EU ETS 2 für die Sektoren Verkehr und Gebäude und den CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) einführt. Doch welche Auswirkungen haben diese Maßnahmen auf die soziale Gerechtigkeit?
Der Klimawandel und seine Begrenzung sind komplexe Herausforderungen, die auch soziale und wirtschaftliche Implikationen haben. Beim Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft müssen daher unbedingt auch die Verteilungseffekte der Klimapolitik berücksichtigt werden. Traditionell wurden sowohl in der EU als auch in anderen CO2-Bepreisungssystemen die Einnahmen für zusätzliche Klimaschutzprojekte und -initiativen verwendet. Dies hat sich bei der Finanzierung der Transformation der Industrie und der Entwicklung neuer Technologien (z.B. Elektromobilität, grüner Wasserstoff) als wichtig erwiesen. Doch heute mehren sich die Stimmen, die für einen anderen Ansatz plädieren: die Rückverteilung eines Großteils der Einnahmen direkt an die Bürger*innen.
Pro-Kopf gleiche Verteilung der Emissionshandelserlöse umsetzen!
Im Mittelpunkt dieses Vorschlags steht das Konzept einer Klimadividende. Dies bedeutet, dass der überwiegende Teil der Einnahmen aus dem EU ETS 1 und insbesondere aus dem EU ETS 2 direkt an die Bürger*innen rückverteilt wird, und zwar auf der Basis gleicher pro-Kopf Auszahlungen. Denn die mit der CO2-Bepreisung verbundenen Kosten werden unweigerlich auf die Verbraucher abgewälzt, beispielsweise über höhere Strom- und Benzinpreise. Diese zusätzlichen Energiekosten treffen aber Haushalte mit geringerem Einkommen unverhältnismäßig stark, die sogenannten Regressivität der Energiebepreisung. Eine Klimadividende, die gleichmäßig auf die Bürger*innen verteilt wird, dient nun dazu, diese regressive Wirkung abzumildern oder gar änzlich zu vermeiden. Sie entlastet besonders stark diejenigen finanziell, die beim Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft mit einer CO2-Bepreisung eine relativ größere Last zu tragen haben.
Die Klimadividende ist nicht nur ein theoretisches Konstrukt, sondern eine pragmatische Lösung, um soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten auszugleichen. In Deutschland wird sie als Klimageld diskutiert, ist sogar Teil des Koalitionsvertrags der Ampelregierung und sollte bereits zu Beginn der nationalen CO2-Bepreisung eingeführt werden. Bisher ist dies, anders als beispielsweise in Österreich, jedoch nicht geschehen. Indem die Klimadividende alle Bürger*innen gleichermaßen und direkt an den Vorteilen der CO2-Bepreisung beteiligt, fördert sie das Gefühl der gemeinsamen Verantwortung und der kollektiven Teilhabe an der Klimapolitik. Darüber hinaus wird nicht nur die politische Akzeptanz der Klimapolitik generell, sondern auch und die gesellschaftliche Unterstützung der CO2-Bepreisung erhöht. Ängste der Bürger*innen vor der finanziellen Überforderung der Haushalte durch klimapolitische Maßnahme können so abgemildert werden.
Die Umsetzung einer solchen Klimadividende steht auch im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Werten. Sie stellt sicher, dass die Vorteile der Klimapolitik nicht in den Händen einiger weniger landen, sondern von der gesamten Gesellschaft geteilt werden. Sie könnte damit auch zu einem wirksamen Instrument für den sozialen Zusammenhalt werden und beweisen, dass ökologische Nachhaltigkeit mit sozialer Gerechtigkeit vereinbar ist.
CBAM-Einnahmen für die internationalen Klimafinanzierung nutzen!
In ähnlicher Weise kann der Grundgedanke der Klimadividende international ausgeweitet werden. Die EU nutzt den Grenzausgleich CBAM nicht nur als Instrument zur Verhinderung der Abwanderung energieintensiver europäischen Industrien und damit auch der Verlagerung von CO2-Emissionen in klimapolitisch weniger ambitionierte Länder. Sie nutzt CBAM auch strategisch als Mittel zur Verbreitung ihres klimapolitischen Modells einschließlich der CO2-Bepreisung. Die Rückverteilung von CBAM-Einnahmen an besonders vom Klimawandel betroffene Länder des Globalen Südens, die mit Europa Handel treiben, könnte somit einem doppelten Zweck dienen. In erster Linie würde sie das Engagement der EU für globale Klimagerechtigkeit unterstreichen und ihre Verlässlichkeit als Partner für die Länder des Globalen Südens demonstrieren. Darüber hinaus könnte sie unseren Handelspartnern einen Anreiz bieten, vergleichbare Mechanismen zur CO2-Bepreisung einzuführen und so einen global vernetzten und gerechteren Ansatz zur Eindämmung des Klimawandels und zur Bewältigung seiner Folgen fördern.
Die Umsetzung dieser Strategie würde die Grundsätze der CBAM-Diplomatie und des von Deutschland voran getriebenen Klima Clubs – eine Koalition von Staaten, die den Klimaschutz besonders ambitioniert vorantreiben wollen – wesentlich stärken. Die Strategie zielt darauf ab, verbindliche Instrumente zur Treibhausgas-Reduktion über die EU-Grenzen hinaus zu etablieren und gleichzeitig die Zusammenarbeit mit unseren globalen Partnern zu fördern. Neben den finanziellen Erwägungen für die EU und ihre Unternehmen ist die Rückverteilung von CBAM-Einnahmen von wichtiger politischer Bedeutung. Denn um die klimaverträgliche Transformation unserer Industrien zu unterstützen, ist eine effektive internationale Zusammenarbeit erforderlich, so z.B. beim Import von grünem Wasserstoff oder der Ausrichtung des internationalen Handels auf die Klimaschutzziele.
Aber es bleiben Herausforderungen …
Der Weg zur Umsetzung einer Klimadividende ist jedoch steinig. Die weitere Finanzierung der Transformation gerade in Zeiten knapper Haushaltsmittel, die Überwindung bestehender institutioneller Hindernisse auf der Ebene der EU und der Mitgliedstaaten sowie die Gewährleistung der Einfachheit und administrativen Praktikabilität des Umverteilungssystems sind berechtigte Anliegen.
Die Klimadividende würde jedoch in Europa und global einen entscheidenden, dringender denn je benötigten Dialog über die Zusammenhänge von wirksamem Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit anstoßen. Ein wesentlicher Teil des Widerstands gegen eine ehrgeizige Klimapolitik kommt eben aus einer zunehmend als ungerecht empfundenen Gesellschaft selbst. Wir müssen uns also um Lösungen bemühen, die nicht nur ökologisch wirksam, sondern auch sozial gerecht sind.
Die EU hat bei der anstehenden Klimakonferenz COP28 in Dubai die einmalige Chance, einen weltweit sozial gerechten Klimaschutz neu zu definieren. Die Klimadividende ist ein praktikabler und moralisch richtiger Schritt hin zu einer integrativeren Transformation. Indem sie den Einzelnen ins Zentrum klimapolitischer Vorteile stellt, kann die EU nicht nur eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung ökologischen Nachhaltigkeit übernehmen. Die EU kann damit auch einen Wandel hin zu einer Gesellschaft fördern, in der die Klimapolitik von den Bürger*innen, die sie letztendlich vor dramatischen Klimawandelfolgen schützen will, auch angenommen wird. Da wir im Klimaschutz mehr denn je am Scheideweg zwischen ökologischer Dringlichkeit und sozialer Verantwortung stehen, bietet sich die Klimadividende als zentrales Instrument auf dem Weg zu einer wirklich nachhaltigen Zukunft an.
*Dieses Papier entstand im Rahmen eines gemeinsamen Forschungsprojekts über die Rückführung von Einnahmen aus der CO2-Bepreisung, das von Dr. Joseph Dellatte, Resident Fellow für Klima, Energie und Umwelt am Institut Montaigne, Frankreich, Dr. Sven Rudolph, Referent für Klimapolitik am Instituts für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen, Deutschland, Dr. Elena Aydos, Senior Lecturer an der University of Newcastle Law School, Australien, und Prof. Takeshi Kawakatsu,PhD, Professor für öffentliche Finanzen an der Kyoto Prefectural University, Japan, durchgeführt wurde. Die englische Version des Beitrags finden Sie auf der Internetseite des Institut Montaigne hier, die französische Französische Version hier.