Bundesregierung weicht ministerielle Verantwortung für den Klimaschutz auf – Wer schließt nun die Büchse der Pandora?

Am 28.3.23 einigte sich der Koalitionsausschuss der Ampelregierungen nach fast 30stündigem Ringen auf wichtige Weichenstellungen im Klimaschutz.

Deutschland hat sich nach dem Verfassungsgerichtsurteil von 2021 im August desselben Jahres dazu verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65% gegenüber 1990 zu senken. Schon 2019 waren jährlich sektorscharfe Reduktionsziele verbunden mit klaren ministerielle Ressortzuständigkeiten, beispielsweise für den Verkehrssektor und das zuständige Verkehrsministerium, festgeschrieben worden. Diese Ziele wurden gestern gekippt und die Gesamtverantwortung für die Klimazielerreichung ins Kanzleramt verlegt.

Hierzu erklärt Dr. Sven Rudolph, Klimapolitikexperte am Institut für Kirche und Gesellschaft (IKG) der Evangelischen Kirche von Westfalen: „Die Verwässerung von Zuständigkeiten für den Klimaschutz ist das falsche Signal zur falschen Zeit. Noch vor zwei Wochen hat der Weltklimarat gezeigt, wie notwendig ein ambitionierter Klimaschutz ist, um die schlimmsten Folgen des menschgemachten Klimawandels noch zu verhindern (link zum Beitrag Weltklimarat). Die nächsten zehn Jahre sind dafür entscheidend, auch in Deutschland, und hier besonders auch im Verkehrssektor. Statt der im Klimaschutzgesetz vorgesehenen Reduktion auf 84 Millionen Tonnen in 2030, reichen die bisherigen Maßnahmen allenfalls für eine Reduktion auf 126 Millionen Tonnen, so die Projektion der Bundesregierung. Dies ist eine Zielverfehlung von mehr als 40 Millionen Tonnen oder 50% und damit ein klarer Verstoß des FDP-geführten Verkehrsministeriums gegen das geltende deutsche Klimaschutzgesetz. Doch statt die ausstehenden Emissionsminderung nun mit ganzer Kraft anzugehen, vermeidet die Bundesregierung den Rechtsbruch durch die Abschaffung der jährlichen Sektorziele – ein kreativer, aber klimapolitisch fataler Schritt, mit dem sich insbesondere die FDP ihrer klimapolitischen Verantwortung entzieht. Dass es dem nun für die Erreichung des „mehrjährigen“ Gesamtziels zuständigen Kanzleramt gelingt, diese klimapolitische Büchse der Pandora wieder zu schließen, scheint angesichts der politischen Machverhältnisse in der Koalition unwahrscheinlich.

Bedeutsam ist die Verwässerung von Zuständigkeiten nicht zuletzt auch, weil eines der wirksamsten Instrumente der deutschen Klimapolitik im Verkehrs- und Gebäudesektor, der erst 2021 eingeführte nationale Emissionshandel, seine gesamtwirtschaftliche Emissionsmengenbegrenzung spätestens ab 2026 aus den konkreten Sektorzielen schöpfen sollte. Wie dies nun gelingen kann, bleibt offen. Die Bundesregierung handelt damit nicht nur gegen die Empfehlung ihres eigenen Expertenrates für Klimafragen, der eine Ausweitung mengensteuernder Elemente in der Klimapolitik empfiehlt, sondern auch gegen den Trend auf europäischer Ebene, wo die Einführung eines zusätzlichen, separaten Emissionshandels für den Verkehrs- und Gebäudesektor beschlossene Sache ist.“