„Das EU-Klimaflaggschiff ist auf Kurs gebracht – Weitere Kurskorrekturen bleiben aber nötig“

Das bereits im Juli 2021 vorgestellte EU-Klimapaket „Fit-for-55“ verschärft nicht nur das europäische Klimaschutzziel auf minus 55% Treibhausgase bis 2030 gegenüber 1990. Es sieht für die Erreichung des Ziels auch wesentliche Änderungen am zentralen klimapolitischen Instrument, dem EU-Emissionshandel, vor. Nun ist die Reform endgültig beschlossen.

Das oft als Ablasshandel verunglimpfte 2005 eingeführte EU-Emissionshandelssystem (EU EHS) ist zum wichtigsten klimapolitischen Instrument der EU geworden. Anders als beim historischen Ablasshandel beschränkt er nämlich die insgesamt in der EU erlaubte Menge an klimaschädlichen Treibhausgasen und ermöglicht den Handel mit Emissionsrechten nur unter diesem Deckel. Im englischsprachigen Raum wird der Emissionshandel deshalb auch treffender als Cap-and-Trade bezeichnet, also Deckeln-und-Handeln. Und eine weitere Komponente ist besonders für Fragen der sozialen Gerechtigkeit wichtig: die Art und Weise, wie diese Emissionsrechte an die Emittenten vergeben werden. Werden sie kostenlos verteilt, wie in den ersten Jahren des EU-Emissionshandels geschehen, so können ungerechtfertigte Milliardengewinne, sogenannte Windfall Profits, für die Unternehmen entstehen. Werden die Emissionsrechte hingegen verkauft, nimmt der Staat Geld ein, das er etwa für zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen oder für den sozialen Ausgleich nutzen kann. Der renommierte ökologische Ökonom Herman Daly bezeichnetet daher ein solches System der Deckelung, Versteigerung und des Handelns als bestes Instrument der Klima-, ja sogar der Umweltpolitik generell. Klimaziele würden über den Deckel sicher erreicht, eine soziale Kompensation über eine gezielte Aufkommensrückverteilung ermöglicht und eine kostenminimale Emissionsreduktion über den Handel umgesetzt.

Genau diese positiven Wirkungen des Emissionshandels werden nun durch die gerade von der EU beschlossene Reform verstärkt. Zunächst wird der Emissionsdeckel noch strenger. Statt um 43% wird die in der EU zugelassene Emissionsgesamtmenge nun bis 2030 um insgesamt 62% gegenüber 2005 sinken. Außerdem soll der Seeverkehr ab 2024 zusätzlich in den EU-Emissionshandel einbezogen werden. Damit wird der EU-Emissionshandel nun einen deutlich größeren Beitrag zum EU-Klimaschutz leisten als zunächst geplant. Zudem wird die kostenlose Zuteilung an den Luftverkehr bis 2026 eingestellt. Dies gilt schrittweise ab 2026 bis 2034 auch für stark im internationalen Wettbewerb stehende europäische Industrieunternehmen. Im Gegenzug wird zeitgleich ein Grenzausgleichsystem, der sogenannte Carbon Border Adjustment Mechanism, eingeführt. Hier werden für Produkte, die mit hohem Energieaufwand in Ländern ohne CO2-Preis produziert und nach Europa importiert werden, zollähnliche Preisaufschläge erhoben. Importierende Unternehmen müssen dann an die EU einen dem europäischen CO2-Preis entsprechenden Grenzausgleich bezahlen. So sollen ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile gegenüber EU-Unternehmen und drohende Produktionsverlagerungen in Ländern mit weniger strengen Klimavorschriften zu verhindert werden.

Daneben wird ein neues EU-Emissionshandelssystem nach dem Modell des bereits seit 2021 in Deutschland geltenden Brennstoff-Emissionshandels für die Sektoren Verkehr und Gebäude etabliert. Das sogenannte EU EHS 2 soll ab 2027 gelten und dann auch das deutsche System ablösen. Kostenlose Emissionsrechte sind wie beim deutschen System nicht vorgesehen. Da steigende CO2-Preise aber ärmere Haushalte relativ stärker betreffen als reichere, ist ab 2026 ein EU-Klimasozialfonds vorgesehen, aus dem besonders einkommensschwächere Haushalte unterstützt werden sollen. Der Fonds speist sich aus 25% der Einnahmen aus dem EHS 2, das sind rund 65 Milliarden Euro, plus zusätzliche 15 Milliarden aus den Mitgliedsstaaten, insgesamt also rund 80 Milliarden Euro.

IKG-Klimaexperte Dr. Sven Rudolph kommentiert die Reformen: „Das EU-Klimaflaggschiff ist endlich auf Kurs gebracht, weitere Kurskorrekturen bleiben aber nötig. Zwar wird der EU-Emissionshandel mit der Reform nicht nur klimapolitisch anspruchsvoller, sondern auch deutlich gerechter. Trotzdem muss weiterhin nachgeschärft. So bleibt offen, wie genau das EU EHS 2 aussehen soll. Wirklich wirksam wird es nur, wenn, anders als bei der deutschen Lösung, ein harter Emissionsdeckel für die Sektoren Verkehr und Gebäude eingezogen wird. Immerhin gehört der Verkehrssektor weiterhin zu den Sorgenkindern der EU-Klimapolitik, und in Deutschland bricht die Nichterreichung des Sektorziels Verkehr derzeit sogar geltendes Klimarecht (https://www.kircheundgesellschaft.de/institut/fachbereiche/umwelt-soziales/artikel-fachbereich-ii/klimaschutz/bundesregierung-weicht-ministerielle-verantwortung-fuer-den-klimaschutz-auf-wer-schliesst-nun-die-buechse-der-pandora/). Zudem muss noch einmal über die Aufkommensverwendung nachgedacht werden, gerade angesichts absehbar steigender CO2-Preise und damit einhergehender zunehmender Kostenbelastungen gerade für untere Einkommen. Studien in Deutschland gezeigt: Ein für alle gleiches Klimageld hat starke Entlastungseffekte für einkommensschwächere Haushalte, bei relativ geringem Verwaltungsaufwand und hoher gesellschaftlicher Akzeptanz (https://www.kircheundgesellschaft.de/institut/fachbereiche/umwelt-soziales/artikel-fachbereich-ii/soziale-und-oekonomische-nachhaltigkeit/co2-bepreisung-und-gerechtigkeit/). Hierfür müssen deutlich größere Teile des Aufkommens aus dem Emissionshandel zur Verfügung stehen als bisher vorgesehen. So würde der europäische Klimaschutz nochmal deutlich effektiver und gerechter.“