Kirchlicher Klimaschutz und der Koalitionsvertrag

Endlich ist das große Rätselraten vorbei: Der Koalitionsvertrag wurde mit einem großen Tusch vorgestellt, die Kabinettsmitglieder nicht ganz konfliktfrei ernannt und die Koalitionspartner haben schließlich dem Ganzen feierlich zugestimmt. Und endlich kann das Regieren beginnen.

In dieser Legislaturperiode soll beim Klimaschutz viel angepackt werden. Der Koalitionsvertrag sieht das ambitionierteste Klimaschutzprogramm vor, das je eine deutsche Bundesregierung verabschiedet hat. Die Verantwortlichen diverser Organisationen und Unternehmen, und auch wir als Kirche, erwarten schon sehnsüchtig den großen Fördermittelsegen, der alsbald ausgeschüttet werden soll. Mit dem Ende des großen Abwartens ist der Startschuss für den Sprint zur Treibhausgasneutralität gefallen. Dafür müssen wir die Bedingungen klären, unter denen Klimaschutz nach den Plänen der neuen Bundesregierung zukünftig betrieben werden kann. Was genau beinhaltet dieser Koalitionsvertrag und was für neue Werkzeuge, Fallstricke und neuen Verantwortungen birgt er?

Um der Schlagkräftigkeit der Verhandlungsergebnisse auf die Spur zu kommen, hat die Klima-Allianz Deutschland eine DIW Econ-Studie in Auftrag gegeben, die kürzlich veröffentlicht wurde. Hier werden die Maßnahmenvorschläge aus dem Koalitionsvertrag mithilfe von Einschätzungen aus der Fachliteratur auf Ihre Wirksamkeit bei der Reduzierung von Treibhausgasemissionen (THG) untersucht und ihre Lenkungswirkung auf die verschiedenen Sektorziele aus dem Klimaschutzgesetz abgeschätzt. Handlungsschwerpunkte sind Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft. Außerdem wurden auch sektorübergreifende Maßnahmen bewertet.

Die Ampel-Parteien setzen mit Ihren Zielformulierungen und Maßnahmen einen klaren Fokus auf die Energiewende und Europapolitik. Dem entsprechend schneiden die Sektoren Energie und Industrie und die sektorübergreifenden Maßnahmen überdurchschnittlich gut ab. Die Experten schätzen die Ausbauziele von erneuerbaren Energien als ambitioniert ein. Um hier die gesetzlich vorgeschriebenen 2030-Ziele sicher zu erreichen, braucht es allerdings noch konkretere und umfangreichere Maßnahmen. Die überzeugenden Vorschläge im Bereich der internationalen Klimapolitik werden auf politischer Ebene mit dem grünen Vorsitz des Außenministeriums und des Europa-Ausschusses gestützt. Ein Maßnahmenvorschlag, den die Studie besonders hervorhebt, ist die Gründung eines internationalen Klimaclubs.

Energiewende und internationale Klimapolitik sind die großen Räder, die die Bundesregierung zu drehen gedenkt, und das ist auch gut so. Im kirchlichen Kontext liegen unsere Schwerpunkte traditionsgemäß eher in den übrigen Sektoren: Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft. Das liegt vor allem daran, dass Kirche über einen sehr großen Gebäudebestand verfügt und es in vielen Landeskirchen und Bistümern auch große Bestände an land- und forstwirtschaftlichen Pachtflächen gibt. Außerdem verantwortet Kirche als zweitgrößte Arbeitgeberin im Land große Mengen an THG-Emissionen, die Mitarbeitende auf ihren Wegen zur Arbeit und während der Arbeitszeit verursachen.

Die Evangelische Kirche von Westfalen hat beispielsweise im vergangenen Jahr ihre THG-Bilanz aktualisiert, wobei Gebäude etwa 80% und Mobilität etwa 20% der bilanzierten Emissionen ausmachten. Beschaffung und Kirchenland wurden zwar auch als Handlungsfelder beschrieben, es wurde allerdings keine Bilanz erstellt. Wie viele Landeskirchen und Bistümer in der Bundesrepublik hat auch die EKvW festgestellt, dass zur Erreichung ihrer Klimaschutzziele eine deutliche Verschärfung der Anstrengungen notwendig ist. Ein ehrgeiziger Koalitionsvertrag ist also auch für unsere landeskirchlichen Ziele von entscheidender Bedeutung.

Hier drängt sich die Frage auf, welche Unterstützung wir in den uns besonders betreffenden Handlungsfeldern von den Plänen der neuen Bundesregierung erwarten können. Die DIW-Econ-Studie kommt in diesen drei Sektoren (der Bereich Beschaffung wird in den Sektorzielen des Klimaschutzgesetzes des Bundes nur indirekt adressiert) zu einem eher durchmischten Urteil. In vielen Bereichen geht die Ampel-Koalition weit über das Ambitionsniveau der Vorgänger Regierung hinaus, doch die Vorschläge im Koalitionsvertrag reichen nichtsdestotrotz noch immer nicht aus, das gesetzlich festgeschriebene 2030-Ziel zu erreichen. Insgesamt sind die Ziele und Maßnahmen bei Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft weniger ambitioniert als bei den anderen Sektoren.

Betrachten wir einmal den für kirchliche Klimaschutzbemühungen besonders relevanten Gebäudesektor. Einer der wichtigsten Knackpunkte im Gebäudebereich ist das Ziel, die jährliche private Sanierungsrate auf 2% zu steigern. Wie das erreicht werden soll, dafür fehlt im Regierungspapier ein klares Konzept. „In weiten Teilen ist keine Verbesserung der bisher nicht zielführenden Förder- und Anreizlandschaft zu erkennen.“, so die Autoren der Studie. „Zwar werden Standards für die Sanierungstiefe und Energieeffizienz von Neubauten definiert, wobei jedoch die Vorlaufzeit bis 2024 oder 2025 wichtige Jahre zur Emissionsvermeidung verschenkt und Fehlinvestitionen riskiert werden“.

Welche Schlüsse können kirchliche Akteure aus den Ergebnissen der DIW Econ-Studie der Klima-Allianz jetzt eigentlich ziehen? Was bedeutet das konkret für die eigenen Maßnahmenpakete, die es zu schnüren gilt und die auf den Weg gebracht werden wollen? Zuerst einmal sollten wir uns jetzt nicht zurücklehnen und die Regierung ihre Arbeit machen lassen, um in vier Jahren Bilanz zu ziehen und an den Wahlurnen nach zu justieren. Viele der untersuchten Maßnahmen weisen zwar in die richtige Richtung und adressieren auch die richtigen Themen. Was den meisten allerdings noch fehlt, sind klare Umsetzungsstrategien und zielführende Maßnahmen. Hier gilt es, im weiteren Konkretisierungsprozess als Kirche aufmerksam zu bleiben und wenn nötig den Finger in die Wunde zu legen.

Ein weiterer Schluss, den wir aus den Ergebnissen der Koalitionsverhandlungen ziehen müssen, ist, dass unsere eigenen, kirchlichen Bemühungen auf dem Weg zur Klimaneutralität wichtiger sind denn je. Da sich der Maßnahmenpfad unserer neuen Regierung nicht im gesetzlichen Zielkorridor befindet, und da das 1,5-Grad-Ziel sich noch immer in weiter Ferne befindet, müssen wir für unseren Verantwortungsbereich unsere eigenen Antworten finden. Wie kann es uns beispielsweise gelingen, auch gegen den Bundestrend unsere eigene Sanierungsrate ausreichend zu steigern? Welche Förder- und Anreizlandschaft können wir auf Landeskirchenebene schaffen, wenn sie auf Bundesebene nicht die nötige Durchschlagkraft hat? Der erträumte Fördermittelsegen wird wohl noch eine Weile auf sich warten lassen, aber wenn er kommt, sollten wir bereit dafür sein.

„Mehr Fortschritt wagen“ hat sich die Ampel-Koalition über den Koalitionsvertrag geschrieben. Das zumindest ist ein sehr guter Ansatz, es liegt an uns, was wir daraus machen möchten.

Simone Hüttenberend, Klimaschutzmanagerin EKvW

Mehr Informationen: Studie DIW Econ KoaV Plausibilitätsanalyse

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